NCL-Kinderdemenz – Wenn Kinder ihre Fähigkeiten verlieren

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Bei Ihrem Kind wurde eine neuronale Ceroid-Lipofuszinose festgestellt oder es besteht der Verdacht darauf. Diese Information hilft Ihnen, sich einen ersten Überblick über das sehr seltene Krankheitsbild zu verschaffen. Sie erfahren auch, wo Sie für die ganze Familie Unterstützung finden. 

Auf einen Blick

Erkrankung

Neuronale Ceroid-Lipofuszinosen (kurz: NCL) sind eine Gruppe erblicher Speicherkrankheiten. Umgangssprachlich werden NCL auch Kinderdemenz genannt. Es gibt verschiedene NCL-Formen. Je nach Form beginnt die Erkrankung in einer anderen Altersstufe.

Anzeichen

Zunächst entwickeln sich die Betroffenen normal. Dann erblinden sie oft, bekommen Krampfanfälle oder Probleme mit dem Laufen und Sprechen. Die geistigen Fähigkeiten nehmen ab und sie können sich schlechter bewegen.

Behandlung

Bislang sind NCL nicht heilbar. Verschiedene Behandlungen können Ihr Kind gut unterstützen: Ergotherapie, Bewegungstherapien, Logopädie, Medikamente, psychologische und psychiatrische Betreuung.

Was sind NCL-Erkrankungen?

Bei den neuronalen Ceroid-Lipofuszinosen (kurz: NCL) häuft sich der wachsartige Stoff Ceroid-Lipofuszin in den Nervenzellen an. Durch einen genetischen Fehler können die Nervenzellen ihn nicht abbauen und sterben dann ab. Besonders betroffen sind die Nervenzellen vom Gehirn und von der Netzhaut der Augen.  

NCL sind Erbkrankheiten. Die Eltern sind in der Regel nicht erkrankt. Sie tragen neben der gesunden Erbanlage aber immer auch die fehlerhafte in sich. Wenn beide Eltern gleichzeitig die fehlerhafte Anlage weitervererben, erkrankt das Kind. Jedes Kind dieses Paares ist mit einer Wahr­scheinlichkeit von 1 zu 4 betroffen. Das bedeutet, es können auch mehrere Kinder in einer Familie erkranken. 

Es sind mehr als zehn verschiedene Formen von NCL bekannt. Bei jeder Form ist eine andere Stelle in den Erbanlagen verändert, welche zu einem anderen Fehler führt. Die einzelnen NCL unterscheiden sich im Erkran­kungsalter und Auftreten von Beschwerden. Einige Formen beginnen schon früh bei Säuglingen, andere erst später bei Kleinkindern, Schulkindern, Jugendlichen oder sogar bei jungen Erwachsenen. Die Krankheitszeichen sind bei allen Formen ähnlich.

Anzeichen und Beschwerden

Bei einem bislang altersgerecht entwickelten Kind kommt es auf einmal zu unerklärlichen Auffälligkeiten, zum Beispiel sieht oder spricht es schlechter, stolpert oft oder verlernt Dinge, die es schon konnte. Auch epileptische Anfälle können ein erstes Anzeichen sein. Bei allen Formen verlieren erkrankte Kinder nach und nach ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten. Die Lebensdauer ist verkürzt.  

Bei allen NCL sind diese Krankheitszeichen häufig: 

  • Blindheit: Die Sehkraft verschlechtert sich zunehmend bis zur Erblindung.

  • Entwicklungsstörungen: Das Erlernen von Wörtern oder Bewegungen verläuft langsamer als normal. Bereits erlernte Fähigkeiten wie Sprechen, Lesen oder Rechnen gehen verloren. Erkrankte Kinder können sich nicht mehr konzentrieren oder sich Dinge merken. Sie entwickeln sich zurück und bauen geistig ab (Demenz).

  • Bewegungsstörungen: Die Muskeln werden immer schwächer und Bewegungen unkoordinierter. Mit der Zeit können die Kinder nicht mehr laufen und brauchen einen Rollstuhl. Kauen und Schlucken fallen zuneh­mend schwer.

  • Epileptische Anfälle: Die Muskeln zucken oft oder verkrampfen sich und werden steif. Es können einzelne Körperbereiche wie ein Arm oder aber auch der gesam­te Körper betroffen sein.

  • Verhaltensauffälligkeiten: Das Verhalten der Kinder kann sich ändern. Manche werden depressiv oder aggressiv. Es kann zu Angstzuständen oder Halluzinatio­nen kommen.

Untersuchungen

Da viele Beschwerden nicht eindeutig sind und auf andere Krankheiten hinweisen können, vergehen oft Jahre bis zur richtigen Diagnose. Um sie zu sichern, wird Blut auf die veränderte Erbanlage untersucht.

Behandlungen

Die Erkrankungen sind bislang nicht heilbar. Ziel der Behandlung ist, Beschwerden zu lindern und den Alltag zu erleichtern. Wichtig ist, Ihr Kind und Sie als betroffene Familie so früh wie möglich gut zu unterstützen. 

Allgemeine Unterstützung:

Ein fachärztliches Team sollte Ihr Kind regelmäßig und dauerhaft betreuen. Dazu gehören oft Personen verschie­dener Fachgebiete: Kinder- und Jugendmedizin, Augenheil­kunde, Neurologie, Psychologie, Psychiatrie, Ergotherapie, Bewegungstherapie und Logopädie. Wichtig ist, dass ein Arzt oder eine Ärztin den Überblick behält und die Behand­lung steuert. Er oder sie sollte genau über alles Bescheid wissen. 

Die Behandlung sollte den Bedürfnissen Ihres Kindes entsprechen. Frühzeitige Ergotherapie und Bewegungsthe­rapien stärken die Muskeln und fördern die Beweglichkeit. Bei Krämpfen oder anderen Problemen können Medika­mente zum Einsatz kommen. Die Logopädie trainiert das Sprechen und Schlucken. Bei schweren Schluckproblemen können Betroffene künstlich über einen Schlauch Nahrung erhalten. 

Manchmal ist auch eine psychologische oder psychiatrische Betreuung hilfreich. 

Gezielte Behandlung der Form CLN2:

Bei einer speziellen Form der NCL, der sogenannten CLN2, fehlt ein Eiweiß (Enzym). Normalerweise baut es die schädlichen Stoffe in den Nervenzellen ab. Fachleute entdeckten, dass das fehlende Enzym künstlich durch den Wirkstoff Cerliponase alfa ersetzt werden kann. 

Es gibt erste Anhaltspunkte aus wenigen Studien, dass der Wirkstoff Cerliponase alfa den Krankheitsver­lauf der Form CLN2 verlangsamen kann. Dieses Medikament ist in Deutschland zugelassen. Für die Behandlung setzt man dem Kind eine kleine Kapsel unter der Kopf­haut ein. Von dort führt ein dünner Schlauch (Katheter) direkt ins Gehirn (siehe Abbildung). 

Bild: Patrick L. Lynch

Auf diese Weise kann das Kind alle 2 Wochen den flüssigen Wirkstoff als Infusion erhalten. Diese Behandlung findet ambulant oder kurzstationär in speziellen Kliniken statt. Es können Nebenwirkungen auftreten, etwa Krämpfe, Fieber oder allergische Reaktionen. Die Gefahr für Infektionen mit Krankheitserregern ist erhöht.

Forschung

Derzeit prüfen Forschergruppen verschiedene Behand­lungsmöglichkeiten, unter anderem Gentherapien, Stamm­zelltherapien und Enzymersatztherapien. Manche Verfahren sind noch experimentell. Das bedeutet, sie sind ganz am Anfang und man weiß noch nicht genug über ihre Wirksamkeit und mögliche Risiken. Einige wenige Wirkstoffe für bestimmte NCL-Formen kommen bereits in Studien zum Einsatz.

Was Sie selbst tun können

  • Es ist empfehlenswert, ein Kompetenz-Zentrum oder eine NCL-Sprechstunde aufzusuchen, etwa in einer Uni-Klinik. Dort arbeiten erfahrene Fachleute. Diese wissen auch über mögliche Studien für Ihr Kind Bescheid.

  • Es gibt Unterstützungs- und Beratungsangebote, die Ihrer Familie den Alltag erleichtern können. Informieren Sie sich über Selbsthilfe-Organisationen und tauschen Sie sich mit anderen Betroffenen aus.

  • Haben Sie Fragen zur Vererbung der Krankheit oder möchten Sie Ihr Blut oder das von Geschwisterkindern auf veränderte Erbanlagen testen lassen, dann können Sie sich in einer humangenetischen Beratungsstelle informieren.

Juni 2022, herausgegeben von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung

Mehr zum Thema

In der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) e. V. haben sich Patientenorganisationen zusammengeschlossen und sich auf gemeinsame Standards für eine unabhängige Selbsthilfearbeit geeinigt. Ansprechpersonen für Ihre Erkrankung finden Sie hier:

Internet www.achse-online.de
Telefon 030 3300708-0
E-Mail info@achse-online.de

Selbsthilfe-Organisation:

Unsere Gesundheitsinformationen können Sie kostenlos herunterladen, ausdrucken und verteilen. Es gibt auch die Möglichkeit, diese bei Anbietern von Print on Demand auf hochwertigem Papier und in beliebiger Auflage kostenpflichtig ausdrucken zu lassen – wie zum Beispiel dem DDZ.

Diese Information wurde vom ÄZQ im Rahmen eines kooperativen Projektes mit der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) e. V. erstellt. Der Inhalt beruht auf aktuellen wissenschaftlichen Forschungsergebnissen und Empfehlungen für Betroffene von Betroffenen.

Hier finden Sie Dokumente zur Methodik, alle Quellen der Kurzinformation "NCL-Kinderdemenz" sowie weiterführende Links.  

Methodik

Verwendete Quellen

Fachliteratur

National Institute for Health and Care Excellence (NICE). Cerliponase alfa for treating neuronal ceroid lipofuscinosis type 2. 2019 (NICE Clinical Guideline; hst12). www.nice.org.uk/guidance/hst12

  • Canadian Agency for Drugs and Technologies in Health (CADTH). Clinical Review Report. Cerliponase Alfa (Brineura): (Biomarin Pharmaceutical (Canada) Inc.): Indication: For the treatment of neuronal ceroid lipofuscinosis type 2 (CLN2) disease, also known as tripeptidyl peptidase 1 (TPP1) deficiency. www.cadth.ca/sites/default/files/cdr/clinical/sr0574-brineura-clinical-review-report.pdf

  • Kohlschütter A, Schulz A, Bartsch U, et al. Current and Emerging Treatment Strategies for Neuronal Ceroid Lipofuscinoses. CNS Drugs 2019; 33(4):315–25. DOI: 10.1007/s40263-019-00620-8. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30877620

  • Mole SE, Schulz A, Badoe E, et al. Guidelines on the diagnosis, clinical assessments, treatment and management for CLN2 disease patients. Orphanet J Rare Dis 2021; 16(1):185. DOI: 10.1186/s13023-021-01813-5. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/33882967

  • Richa F. Neuronal ceroid lipofuscinosis. Anästh Intensivmed 2017; 58(6 Suppl):S134-S140. DOI: 10.19224/ai2017.S134

  • Schulz A, Nickel M. Neurodegenerative Erkrankungen des Kindesalters. Med Gen 2018; 30(2):231–7. DOI: 10.1007/s11825-018-0194-2

  • Schulz A, Ajayi T, Specchio N, et al. Study of Intraventricular Cerliponase Alfa for CLN2 Disease. N Engl J Med 2018; 378(20):1898–907. DOI: 10.1056/NEJMoa1712649. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/29688815

  • Stehr F, Faßbender B. Neuronale Ceroid-Lipofuszinosen: Wie die Erforschung einer seltenen Kinderdemenz auch Alzheimer-Patienten helfen könnte. Padiatr Prax 2020; 94(1):1–9

Patienteninformationen

Weiterführende Links

Diese Auflistung ist eine Auswahl, sie wird fortlaufend ergänzt und ist nicht vollständig. 

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